Vor meinem inneren Auge stehe ich im Ring. Ich hab die rechte Ecke – Bill die linke.
Angespannt, nervös, lauernd.
Die Glocke läutet… los geht’s
In Realität ist die erste Chemo deutlich unspektakulärer:
um 9:06 sitzen wir im Auto, strahlender Sonnenschein. Marco ist still – die Fahrt fällt ihm fast schwerer als mir. Ich „freue“ mich – ich will ihn loswerden, weiß, dass die „Heilungsinfusionen“ mir helfen werden.
Ich hab eigentlich nur Angst vor dem Anstechen des Port.
Wir quatschen über „das Leben geht weiter“ und über Fahrprüfungen von Rentnern. Kommen super durch – Parkplatz die größere Herausforderung (ich hätte geheult, er war auf 2x drin).
Pünktlich um 10:00 betrete ich V2, melde mich an.
Die Ärztin will mich noch kurz sehen, paar Infos, neue Termine.
Noch ein Angstpipi – dann „darf“ ich mich setzen.
3 Stühle, blau. Eine vor sich hin dösende ältere Dame, eine Handy tippende jüngere. Am Haarstatus sieht man, dass beide nicht das erste Mal hier sind.
Auf dem Tisch neben mir wird ausgebreitet, Infusionen an den Baum gehangen.
Eigentlich bin ich kurz vor dem Weglaufen- wenn ich mir vorstelle, dass gleich der Port angestochen werden muss.
Frau Braun macht das- mag ich. Nett aber nicht drüber.
Erklärt mir alles kurz – dann Desinfizieren.
Und dann: fast hätte ich gelacht als sie nach einem Mini Pieks sagt: das wars
(ok, ablenkend haben wir über Bali gesprochen, wo ich ja EIGENTLICH jetzt bereits 7h wäre und durch Ubud laufen würde, in Vorfreude auf meine Frühlingsrollen und Nasi Goreng)
Nächster Punkt auf der Liste: zu viel Gedanken um nix.
3 Infusionen laufen – Port ist eigentlich echt cool – man merkt nix.
Mittlerweile ist es 11:00 – die Ärztin schließt mich heute persönlich an.
Es gibt Epirupicin, glaub 200mg steht drauf- sieht aus wie Aperol, den mag ich ja eigentlich gerne (hoffe Bill nicht – ist ja eher n Frauengetränk).
So, es läuft.
Unspektakulär hoch 100. Für n Beutel um 600€ hätten sie da ja schon nen Special-Effekt einbauen können. Glitzer oder Leuchten oder so.
Mir schläft der Fuß ein vom hocken und mein Steiß (puh, was mache ich wenn ich hier 4-5h sitze??) die Stühle sind jetzt nicht unbedingt bequem. Liegefunktion getestet – der Stuhl quietscht.
Ah jetzt: Glaub Bill probiert grad Aperol – Bilde mir ein er findet es Scheiße und meine Brust ziept. Super, so soll es sein. Her damit. Genau da hin. Wenn’s nicht so giftig wäre würde ich grad hockenbleiben bis er weg wär – aber diesen Satz werde ich vermutlich nur einmalig schreiben, doof und naiv.
30 Minuten tröpfelt der Aperol rein – und ehrlich gesagt: merke immer noch nix.
Port spülen, dann endlich abgedockt und aufs Klo (der Liter Wasser muss raus). Und siehe da: die 600€ die eben durch mich flossen finden sich im Pipi wieder! Super, orangenes Pipi… da isser doch, mein Specual Effect.
(Einfärben wär billiger gewesen).
Wieder zurück auf dem unbequemen blauen Stuhl mit der vorsichtigen Frage, ob ich jetzt gehen darf.
Meine Antwort auf die Frage wie es mir geht fiel natürlich auf „schlecht“ – ich hab so Lust auf Käsekuchen und hier gibt’s nur trockene Kekse, dass ich nach einigem Witzeln mit der Schwester gegen nen Käsekuchen mit Mandarinen bei 2. Runde das Etablissement verlassen durfte.
Noch kurz die Termine eingesammelt, Rezept für die Goldene Spritze für die 2. Runde hab ich liegenlassen, aber das hole ich dann wenn ich nächste Woche zum Herz-Echo muss kurz, und dann ging’s heim.
Wie geht’s Dir?
Was spürst Du?
Ist Dir schlecht?
Schmerzen?
Ähm: Gut!
Marco hat mich aufs Sofa zum Ausruhen verfrachtet – ich wollte lieber Rasenmähen. Jetzt ist mir bisl langweilig…
Wenn ich hier jetzt etwas schreiben MUSS:
- Man merkt minimal einen leichten, metallischen Geschmack im Mund mit leichtem Kitzeln (sowie die Spritze beim Zahnarzt, Sekunden nach dem Einspritzen) – völlig erträglich
- Mein Kopf ist betrunken – bin bisl langsam in Kopf-Wort-Umsetzung. Aber, und das muss ich vielleicht generell dazusagen: Ich nehme überhaupt keine Medikamente, außer mal ne Ibu. Und das seit Jahren. Ich bin völlig kerngesund und hab (außer bisl Rückenschmerzen) NIE etwas. Daher reagiere ich vermutlich schon auf die Begleitmedikamente mit „besoffen sein“.
Also 2. wäre dann vermutlich „besoffen sein“.
Und wenn ich so hier liege sind meine Knochen bisl schwer… könnten Gliederschmerzen werden-werden ignoriert.
Mir ist weder übel noch schlecht- hab normalen Hunger und Durst (und sogar 1 Zigarette geraucht)
Warten wir mal ab, was da die Tage so kommt.
Und wenn ich jetzt hier zum Abschluss schreibe: „ Ich bin froh und erleichtert, dass es heute angefangen hat“ – möchte ich bitte nicht als irre abgestempelt werden.
Jeden Tag, wo ich nichts gegen sein Wachstum unternehme, sendet Bill weitere Babys durch meinen Körper- und sobald Bill irgendwo einen kleinen 2. Bill hinterlässt und sich Fernmetas bilden würden, würde aus meinem kurativ ein Palliativ werden.
Und das ist im Moment für mich der entscheidende Unterschied:
Ich bin HEILBAR krank. Ich werde diese miese Drecksau killen und besiegen.
Ich weiß, dass es mich furchtbar viel Kraft kosten wird, weil es eben nicht der easy-peasy Kandidat ist. Trotzdem sagen mir Kopf und Logik dass das machbar ist.
Und ich kämpfe für mich, für meine Familie.
Die trifft das fast härter wie mich und das bereitet mir fast mehr Sorgen als mein Kampf. Den schaffe ich, da bin ich mir sicher. Und mit der Rückendeckung sowieso.
Ich würde mir wünschen, vor allem Joelle bekommt es gut hin – sie versteht das komplett hat aber auch das Oma-Trauma im Hinterkopf. Ich leide mit ihr, kenne den Schmerz, die Angst, die Sorgen ganz genau. Nur war ich eben 10 Jahre älter als sie jetzt ist.
Das sind die wirklich wichtigen Nebenwirkungen: Herzschmerzen.
Sorgen um Kinder, Partner, Familie, Freunde.
Marco leidet so unendlich still und ist für mich so tapfer. Ich hab ihm mehrmals (in tiefstem Sarkasmus) gesagt, er soll sich den Scheiss nicht antun und gehen – aber das ist natürlich keine Option.
Es wird sich dennoch viel verändern. Aber er war schon immer mein Fels – so werden wir auch diese Welle überstehen (da fällt mir gerade ein: letztes Jahr auf Bali hat er mich aus ner Welle gezogen und meinen Kopf kurz vor dem Aufschlag an der Klippe gerettet (wenn er das nicht gemacht hätte, gäbe es vermutlich diesen Text gar nicht)).
Irgendwie. Irgendwann.
Geduld ist echt nicht meine Stärke- und die muss ich jetzt haben.
Kleine Anekdote: dieses Jahr kurz vor Silvester waren doch die Reels mit „3 Wünsche für 24“ so in, wo man 3 Screenshots machen sollte mit Schlagwörtern, was einen 2024 erwartet.
Meine waren:
GEDULD – GLÜCKSMOMENTE – VIELE GEFÜHLE
(Also auf die Glücksmomente warten wir dann mal noch…)
Und vielleicht schaffe ich es, nicht so empathiebefreit und kühl und hart zu sein, wie ich geworden bin, als Schutz, als Abwehr. Wenigstens für meine Liebsten. Alle anderen bekommen das standardisierte „es geht mir gut“.
Und wen ich oder meine Geschichte interessiert: der muss Zeit zum Lesen investieren.
Mittlerweile ist 16:16 -Chemo folglich 4h drin.
Fazit:
- 4. Pipi nimmer orange
- Rasenmähen wird vom Wachhund nicht erlaubt
- Ausruhen ist langweilig und mir tut der Arsch weh vom rumgammeln
Gehe jetzt einkaufen und mit Buddy sonst faule ich durch.
Finde es ist genug geschont für heute.
Der allergische Schock blieb also aus, Körper entspannt.
Das ist eigentlich wie warten aufs Christkind…
Nach dem Einkaufen und der Hunderunde gabs essen – der Hunger fiel aber eher mager aus.
Die Erdbeeren, auf die ich sooo Lust hatte hab ich dann verpennt.
Aber nach 3h Sofa-Schlafi war ich nachts um 1 topfit, null Wehwehchen und auch mein Kopf war wieder klar.
Dafür lag ich dann schlaflos im Bett, 4h später war die Nacht auch schon vorbei…
Aber Ausruhen soll ja auch gut tun…
Hi, this is a comment.
To get started with moderating, editing, and deleting comments, please visit the Comments screen in the dashboard.
Commenter avatars come from Gravatar.